Gregor Schöllgen – Historiker

Gustavs Päckchen

01.01.2020 
Heute stehen nicht nur ein neues Jahr, sondern auch zwei Jubiläen im Kalender: Am 1. Januar 1895, also vor 125 Jahren, erblickte Gustav Schickedanz das Licht der Welt; und zum 1. Januar 1920, also vor 100 Jahren, wurde durch eine Änderung der Postordnung das Päckchen bis zu einem Kilogramm als Sendung eingeführt.

Zwischen beiden Ereignisse gibt es einen mittelbaren Zusammenhang. Denn Gustav Schickedanz entwickelte sich im Laufe seiner beruflichen Karriere zum größten Versender von Päckchen und Paketen. Das lag an seinem Geschäft, dem Versandhaus „Quelle“, das er 1927 aus der Taufe hob.

Als Schickedanz Ende März 1977 starb, setzte seine Unternehmensgruppe gut 8,3 Milliarden D-Mark um, davon rund 750 Millionen im Ausland. Mehr als 43.000 Menschen waren bei Schickedanz in Lohn und Brot, die allermeisten in der Handelsgruppe, die es auf einen Umsatz von gut 7,3 Milliarden D-Mark brachte.

Mehr als 400.000 Aufträge erteilt die Quelle Jahr für Jahr an ihre rund 12.000 in- und ausländischen Lieferanten, alleine 5.000 selbständige Vertragsschneider waren für den Änderungsdienst des Versenders tätig, im technischen Kundendienst waren mehr als 2.100 Fachleute im Einsatz. In der Ära Amazon sind das überschaubare Dimensionen. Damals waren sie beispiellos.

Mit den fast 25 Millionen Päckchen und Paketen, welche seit dem Sommer 1974 jährlich in eigener Regie postgerecht sortiert und in spezielle Container verladen wurden, war die Quelle der größte Einzelkunde der Bundespost: Jeder zweite Haushalt in der Bundesrepublik bezeichnete sich als Quelle-Kunden, und der rund 930 Seiten starke Jubiläumskatalog 1977 mit seinen 80.000 Artikeln erreichte eine Auflage von mehr als siebeneinhalb Millionen Exemplaren.

Kataloge gibt es im digitalen Zeitalter kaum mehr. Und die Quelle hatte ihre guten Zeiten bald nach dem Tod ihres Gründers hinter sich. Als sie im Oktober 2009 in die Insolvenz ging, war ich gerade damit beschäftigt, die Biographie des Gustav Schickedanz aufzuschreiben. So wurde das Buch, das 2010 erschien, auch zu einem Bericht vom Aufstieg und Untergang des einstmals größten Postkunden.