Gregor Schöllgen – Historiker

Willy mit Willi

19.03.2020 
Wo seit Eröffnung der neuen Trasse der ICE von München nach Berlin Halt macht, fuhr vor 50 Jahren ein Sonderzug mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt ein. Was heute banal und alltäglich klingt, war damals eine Sensation.

Denn in Erfurt trafen erstmals seit Gründung der beiden deutschen Staaten im Mai beziehungsweise Oktober 1949 ein Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik und ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zusammen. Das war alleine deswegen bemerkenswert, weil die Bundesrepublik Deutschland die DDR nicht anerkannte. Willy Brandt besuchte also einen Staat, den es nach diesem Rechtsverständnis eigentlich gar nicht gab.

Das zu ändern und damit auch die durch den Zweiten Weltkrieg geschaffenen Verhältnisse anzuerkennen, war Brandts erklärtes Ziel. Entsprechend heftig waren Anfeindungen durch die innenpolitischen Widersacher, die in einem merkwürdigen Gegensatz zum Empfang durch die Menschen in der DDR standen.

Viele standen schon an der Bahnstrecke Spalier, und in Erfurt verlangte die Menschen lautstark „Willy“ zu sehen. Und damit es kein Missverständnis gab, dass nicht der Gastgeber „Willi“ Stoph, sondern der Gast gemeint war, forderten sie „Willy Brandt ans Fenster“ des Erfurter Hofs, wo die beiden Delegationen tagten.

Das tat der dann auch, zurückhaltend in der Gestik, aber sichtlich bewegt. Noch zwei Jahrzehnte später fragte er im Rückblick, ob es in seinem Leben einen Tag gegeben habe, „der emotionsgeladener gewesen wäre“? Damals habe er „geahnt, dass es ein Volk mit mir war“. Das klang ziemlich pathetisch, aber ihm nahm man das ab. Warum das so war, kann man in meiner Biographie Willy Brandts nachlesen.