Gregor Schöllgen – Historiker

Gnadenlos

08.04.2020 
Totalitäre Regime kennen keine Gnade. Schon gar nicht, wenn ihr Untergang unabweisbar ist, im Gegenteil: Das nahe Ende vor Augen, reißen sie ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner mit sich in den Abgrund.

So war es auch im Falle des Dritten Reiches. Am 9. April 1945, heute vor 75 Jahren, wurden im Innenhof des oberpfälzischen Konzentrationslagers Flossenbürg sechs Männer gehängt. Am selben Tag tötete ein SS-Mann einen weiteren unweit des Krematoriums von Dachau durch einen Genickschuss.

Zwischen dem 22. und dem 24. April, also eine Woche bevor sich Hitler im Bunker der Reichskanzlei das Leben nahm, wurde im beziehungsweise in der Nähe des Berliner Gefängnisses an der Lerther Straße eine Gruppe von Männern hingerichtet. Unter ihnen waren der Diplomat Albrecht Graf von Bernstorff und der Geograph und Schriftsteller Albrecht Haushofer. Alle zwischen dem 9. und dem 24. April Hingerichteten galten den Henkern als Verschwörer und Verräter.

Unter den sechs Männern, die am 9. April in Flossenbürg nackt aufs Schafott geführt wurden, waren der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und der Admiral Wilhelm Canaris; bei dem Mann, der zur gleichen Zeit in Dachau erschossen wurde, handelte es sich um den Schreiner Johann Georg Elser, der am 8. November 1939 vergeblich versucht hatte, Hitler durch ein Attentat im Münchener Bürgerbräukeller zu beseitigen.

Die Ermordeten gehörten allesamt dem kleinen Kreis der deutschen Opposition gegen Hitler an. Es waren Wenige, aber es gab sie. Und sie kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Bezogen auf ihre Herkunft und auf ihre Vorstellungen über die Zeit nach Hitler verband sie wenig. Einig waren sie sich in der Überzeugung, dass die deutsche Diktatur so schnell wie möglich beendet werden müsse.

Heute gelten sie als Wegweiser des freien Deutschland. Das war nicht immer so. Nach dem Krieg wurden sie von vielen als Verräter oder gar als Handlanger der Nationalsozialisten denunziert: So ging man im Falle Georg Elsers zunächst davon aus, dass er im Auftrag und mit Hilfe der Gestapo das Attentat inszeniert habe.

Als ich mich in den achtziger Jahren intensiver mit dem deutschen Widerstand zu beschäftigen begann, hat mich kaum etwas so irritiert wie dieser Umgang der Deutschen mit denen, die den Sturz Hitlers nicht alleine den alliierten Gegnern überlassen wollten. Was das für die Angehörigen der Hingerichteten bedeutete, wurde mir in den Gesprächen deutlich, die ich damals mit Wolf Ulrich von Hassell, dem ältesten Sohn des hingerichteten Diplomaten Ulrich von Hassell, in New York führen konnte.