Gregor Schöllgen – Historiker

Unvereint

22.09.2020 
„Vereint“ wollten die 51 Nationen sein, die am 26. Juni 1945 in San Francisco die United Nations Organization (UNO) aus der Tauf hoben. Folgt man ihrer Charta, die am 24. Oktober in Kraft getreten ist, waren sie „fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geisel des Krieges zu bewahren“, die zuvor in zwei Weltkriegen „unsagbares Leid über die Menschen gebracht“ hatte.

Bezogen auf das Ziel, einen „dritten Weltkrieg“ zu verhindern, konnte ihr Generalsekretär Vollzug vermelden, als er am gestrigen 21. September den Festakt zum 75. Bestehen der Vereinten Nationen eröffnete. Das ist in der Tat ein beachtlicher Erfolg. Und doch sind die Vereinten Nationen - aufs Ganze gesehen und gemessen an ihrem obersten Ziel - gescheitert. Zwar waren wir „noch nie in der modernen Geschichte … so viele Jahre ohne eine militärische Konfrontation zwischen den Großmächten“, wie der Generalsekretär bilanzierte. Aber unterhalb dieser Schwelle hat die Welt in diesem Dreivierteljahrhundert unzählige Kriege aller Art mit Abermillionen Opfern gesehen.

In der Zeit des Ost-West-Gegensatzes, also bis zum Untergang der Sowjetunion Ende 1991, waren viele dieser Kriege auch Stellvertreterkriege. Sie wurden namentlich auf der südlichen Halbkugel geführt, um den Norden von einer direkten, womöglich nuklear geführten Konfrontation der Großmächte freizuhalten. Mein Buch Geschichte der Weltpolitik von Hitler bis Gorbatschow 1941-1941 ist auch eine Chronik dieses Skandals.

Dahinter steckt ein Konstruktionsfehler der UNO, und der wiederum gründet in ihrer Entstehungsgeschichte. Die Vereinten Nationen erblickten in einer Zeit das Licht der Welt, als sich schon die Fronten eines nächsten, des „Kalten Krieges“ abzeichneten. Ein Instrument, um dem gegenzusteuern, war das exklusive Vetorecht, das sich die fünf gegen Deutschland und Japan „hauptkriegsführenden“ Mächte gegenseitig zubilligten und das an ihre Ständigen Sitze im Sicherheitsrat der UNO gebunden war.

Damit konnten und können China (seit 1971 die Volksrepublik), Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion (seit 1991 Russland) und die USA - und nur sie - alle wesentlichen Entscheidungen der Vereinten Nationen blockieren. Davon haben die Fünf bis zum Ende des Kalten Krieges oft Gebrauch gemacht und so das Ihre dazu beigetragen, dass Kriege gerade nicht verhindert oder beendet, sondern begonnen und weitergeführt wurden. Und die UNO wie ihren zahlreichen Sonderorganisationen waren vor allem damit beschäftigt, die Trümmer dieser Politik zu beseitigen, also Folgen der Kriege beheben zu oder doch zu mildern.

Daran vermochte selbst das Ende des Kalten Krieges nichts zu ändern. Die Fünf klammerten sich an ihre Macht. Die Chance auf eine Reform wurde vertan. Der Krieg blieb in der Welt.