Gregor Schöllgen – Historiker

Russlands Weg

26.10.2020 
Russland bewegt. Was dort geschieht, tangiert Deutschland und Europa unmittelbar. Das zeigte sich 2014, als Russland die Krim annektierte und den Krieg in der Ostukraine eröffnete. Folgt man Rüdiger von Fritsch, kam es damals zum „Bruch“.

Der Mann weiß, wovon er spricht. Denn in eben jenen Wochen trat von Fritsch seinen Posten als deutscher Botschafter in Moskau an. 2019 ging er in den Ruhestand. Die Leitung der Botschaft, der größten deutschen weltweit, war der Höhepunkt einer beachtlichen Karriere, zu der nicht nur Spitzenpositionen im Auswärtigen Dienst, sondern zum Beispiel auch im Bundespräsidialamt oder beim Bundesnachrichtendienst zählten. Auf vielen dieser Positionen, in der Attachéausbildung beginnend, bin ich ihm begegnet.

Jetzt hat Rüdiger von Fritsch seine Erinnerungen an seine Zeit „Als Botschafter in Moskau“ veröffentlicht. Sie sind im Berliner Aufbau Verlag erschienen. Es ist ein spannendes, ausgesprochen gut geschriebenes Buch, das sich nicht nur mit politischen oder wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, sondern Land und Leute im besten Sinne des Wortes porträtiert. Wer wissen will, wie es in Russland heute aussieht, was die Menschen umtreibt, wohin der Weg des Landes führen wird, sollte es lesen.

Von Fritsch zeichnet ein authentisches, buntes und lebendiges, dabei abgewognes und nie unkritisches Bild. Als Wladimir Putin ihn anlässlich des Abschieds aus Russland fragte, was er denn jetzt vorhabe, sagte der Botschafter ihm im Juni 2019, er wolle ein Buch schreiben und mit diesem auch Antworten auf die Frage geben, „was Deutsche und Russen trennt und verbindet“. Das hat er getan.

Man muss nicht alle Positionen teilen – ich bin zum Beispiel nicht überzeugt, dass es 2014 zu einem „Bruch“ zwischen Russland und Deutschland beziehungsweise Europa gekommen ist; aber man sollte sie sich anhören. „Wir müssen ja nicht einer Meinung sein“, hatte der Botschafter dem Präsidenten beim Abschied gesagt: „aber versuchen, einander zu verstehen, das sollten wir.“ Genau so ist es.