Gregor Schöllgen – Historiker

Kalter Friede

22.03.2018 
Man kann Gefahren in der Weltpolitik auch herbei- und man kann sie kleinreden. Derzeit geschieht mit einem Thema beides. Gewiss, das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine, in Syrien und im digitalen Kosmos ist ernst zu nehmen. Aber wer darin Vorboten einer Rückkehr des Kalten Krieges sieht, der irrt.

Zum einen fehlt ein wichtiges, wenn nicht das entscheidende Element, nämlich die klare Frontstellung zweier gegnerischer Blöcke. Der Osten ist seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Implosion des Warschauer Paktes, also seit nunmehr fast drei Jahrzehnten, Geschichte. Und der vormalige Westen, so es ihn überhaupt je gegeben hat, steht auch nur noch auf dem Papier. Zudem sorgt derzeit ausgerechnet der Präsident der vormals westlichen Vormacht dafür, dass es auch dabei bleibt.

Zum anderen aber blieb der Kalte Krieg gerade deshalb ein Kalter Friede, weil sich die Antagonisten bei allen Gegensätzen in einer entscheidenden Frage einig waren: Die nuklearen Vernichtungsarsenale bargen derart gewaltige Gefahren, dass sie nicht zum Einsatz kommen durften. Um das sicherzustellen, schlossen Sowjets und Amerikaner seit den sechziger Jahren eine Reihe von Verträgen.

Der letzte, der INF-Vertrag, wurde am 8. Dezember 1987 unterzeichnet und sah die Vernichtung aller landgestützten nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa vor. Erstmal überhaupt in der neueren Geschichte einigten sich zwei Parteien auf die vollständige Eliminierung eines Waffensystems. Wie es dahin kam, ist jetzt in den von mir mitherausgegebenen Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1987 nachzulesen.

Sollte es zu einer Aufkündigung oder gar zu einem Bruch dieses Vertrages kommen, wäre das folglich gerade keine Rückkehr in insgesamt berechenbare Konstellation des Kalten Krieges, sondern ein Schritt in eine womöglich irrational geladene Zukunft. Abwegig ist der Gedanke an ein Ende des INF-Vertrages nicht. Es wäre nicht das erste. Im Dezember 2001 kündigten die USA den 1972 mit der Sowjetunion geschlossenen ABM-Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme. Die Russen begriffen das als Kündigung des Kalten Friedens.