Gregor Schöllgen – Historiker

Was man wusste

12.08.2021 
Jetzt ist es also soweit. Pandemiebedingt mit einiger Verzögerung, aber am Ende zuverlässig wie eh und je sind die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik (AAPD) für 1990 erschienen. Der Band, der in zwei Teilbänden mit insgesamt knapp 2.000 Seiten vorliegt, ist zugleich der letzte, den ich im Rahmen meiner Herausgebertätigkeit betreut habe (vgl. dazu den Eintrag vom 08.12.2019).

Als ich die Akten im Archiv des Auswärtigen Amtes las und mit den Kollegen und Bearbeitern die Auswahl für diesen Band traf, war das auch ein Déjà-vu. Denn ich habe die Ereignisse ja miterlebt, allerdings wie die allermeisten als Beobachter. Als ich jetzt hinter die Kulissen schauen konnte, war ich überrascht, wie vieles man als aufmerksamer Beobachter schon damals wissen konnte.

Ich habe mich seinerzeit sehr intensiv öffentlich zu Wort gemeldet und die Ereignisse beschrieben, kommentiert und interpretiert und mir anlässlich des Erscheinens der AAPD 1990 noch einmal einige dieser Wortmeldungen angesehen. Zum Beispiel das Buch Angst vor der Macht. Die Deutschen und ihre Außenpolitik, das zwei Jahre nach der Vereinigung entstand und Anfang 1993 erschien.

Natürlich sind heute Aspekte und Facetten sichtbar, die man 1990 und in den folgenden Jahren nicht erkennen konnte. Aber wenn ich recht sehe, muss ich mich in keinem Punkt grundsätzlich revidieren. Dass dieses auch für die wenig optimistischen Prognosen wie die gilt, wonach die „Projekte einer Währungs- und politischen Union im ursprüngliche und eigentlichen Sinne des Wortes … allen Beschlüssen, Bekundungen und Beschwörungen zum Trotz in absehbarer zeit kaum die gewünschten Formen annehmen“ dürften, überrascht mich nicht.